120. Stiftungsfest – Kommersrede

Hohe Damen, sehr geehrte Herren Burschenschafter, liebe Festgemeinde,
herzlichen Dank für die Einladung auf Ihrem 120. Stiftungsfest referieren zu dürfen – dieser bin ich gern gefolgt.
Es freut mich besonders, da ich mich seit Jahren intensiv mit dem Thema der Geschichte der technischen Burschenschaften beschäftige.
Und wie Sie wissen, liegen die Wurzeln Stauffias an der Technischen Hochschule.
Und hier im schönen München wurde Stauffia unter Beteiligung von Teutonia Karlsruhe und Germania Darmstadt am 7. November 1893 als Verbandsburschenschaft gegründet.
Mit ihrer Konstituierung wurde wieder burschenschaftliches Leben an der TH München sichtbar, nachdem sich fast 3 Jahrzehnte lang keine burschenschaftlichen Gedanken geregt hatten.
Und ich möchte und muss es mit aller Deutlichkeit sagen: Mit Stauffia hat sich das ursprünglich technisch-burschenschaftliche Leben glücklicherweise bis heute erhalten – auch wenn die anderen vormals rein universitären Münchener Burschenschaften seit vielen Jahren auch Ingenieurstudenten aufnehmen und Stauffia natürlich umgekehrt Universitätsakademiker.
Heute schreiben wir das Jahr 2013. Lassen sie uns 100 Jahre zurückgehen, als Stauffia das 20. Stiftungsfest beging.
Im Jahr 1913 stand auch der technische Burschenschafterverband – der Rüdesheimer Verband deutscher Burschenschaften (abgekürzt RVdB) – vor einer Zeitenwende. Nur konnten es die Burschenschafter damals noch nicht in ihrer Gänze erahnen. Nur einzelne Vorzeichen deuteten diese an.
Ich möchte daher zwei Themen herausgreifen.
Zum einen die burschenschaftliche Jahrhundertfeier 1915 und zum anderen das Kriegserlebnis, welche große Auswirkungen auf die Geschichte der Burschenschaften und ihre Mitglieder hatten.
Um eine Einordnung zu ermöglichen, werde ich zuerst kurz auf die Geschichte des RVdB sowie auf die Emanzipation des Ingenieurs eingehen.
Der Rüdesheimer Verband bildete das technische Pendant zum universitären Verband Deutsche Burschenschaft, die wegen ihrer in den Geschehnissen von 1815/17, 1832/33 und 1848 begründeten Tradition als geschichtsmächtigster Studentenverband anzusehen war und ist.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Korporationsverbänden stand der technische burschenschaftliche Verband auch für eine politische Ideologie, die im Ringen um Gleichberechtigung und Anerkennung ihren Ausdruck fand.
Seine Gründung fiel in eine Zeit, in der die technisch-wissenschaftlichen Emanzipationsbestrebungen immer größeres Gewicht erlangten.
Der Verband, der von 1889 bis 1919 existierte, wurde dabei mit weitreichenden Veränderungen wissenschaftlicher, sozialer, politischer und militärischer Art konfrontiert.
Im Gegensatz zur Deutschen Burschenschaft entstand der zuerst als Niederwald Deputierten-Convent gegründete Technikerverband anfänglich auf nicht-maturer Grundlage. Erst als ab 1899 die Technischen Hochschulen dazu übergingen, das Abitur obligatorisch als Zulassungsvoraussetzungen einzuführen, übernahmen die meisten Burschenschaften dies in ihre Satzungen.

Dies führte dazu, das sich im Jahr 1900 ein auf rein maturer Grundlage entstehender neuer Technikerverband – der sich später in RVdB umbenannte – bildete und die meisten technischen Burschenschaften in sich vereinte.
Am Status des Ingenieurs änderte sich dennoch nicht viel. Denn in Deutschland wurden die Ingenieure von den Universitätsakademikern weiterhin als Eindringlinge betrachtet, die es abzuwehren galt, um den eigenen Status zu sichern.

Für eine Gleichstellung der Technischen Hochschulen mit den Universitäten mussten daher zuerst die Voraussetzungen angepasst werden, d. h. gleichwertige Vorbildung aller Studierenden, Aufwertung der Ausbildungsstätten durch einheitliche Lehrpläne und strenge Immatrikulationsvoraussetzungen sowie Einführung des Promotionsrechts.
Schritt um Schritt wurde versucht, die Gleichberechtigung zu erlangen. Zuerst gingen die Techniker daran, die Polytechnischen Schulen in Technische Hochschulen umzuwandeln.

Hier war ihnen von Nutzen, dass aufgrund der Zersplitterung der deutschen Staaten fast jeder Bundesstaat über mindestens ein Polytechnikum verfügte. Diese anfänglich aus politischer Schwäche geborene Situation führte zu einer Stärkung der technischen Bildung und war auch ein Faktor, dass das Deutsche Reich zu einer der modernsten und stärksten Wirtschaftsmächte aufsteigen konnte.
Dennoch verfügte die technische Intelligenz im Deutschen Reich nur über ein niedrigeres Sozialprestige, da der Bildungsbürger die Matura voraussetzte. Der Bildungsbürger setzte die Maßstäbe.
Der grundlegende Unterschied zum humanistisch gebildeten Studenten bestand beim „Techniker“ somit in der Vorbildung.
In fast allen deutschen Staaten standen dem Schüler mit dem Erwerb der Matura am Gymnasium alle Studiengänge offen.
Die Schultypen Gymnasium, Realgymnasium und Oberrealschule unterschieden sich durch die Sprachen. Hier Altsprachlich, dort Neusprachlich/Naturwissenschaftlich orientiert.
Die altsprachlichen Schulen wurden zum konstitutiven Identifikationsmerkmal der akademischen Eliten und entsprachen eher dem Ideal des Bildungsbürgers als die aus diesem Blickwinkel vermeintliche Schulbildung des Technikers.
Der Aufstiegskampf der Ingenieure musste daher über die stufenweise Verschärfung der Aufnahmekriterien an den Technischen Hochschulen gelingen.
Oder, so eine weitere Möglichkeit, man versuchte die bildungsbürgerliche Schranke zu überwinden, indem man eine nationale, soziale und politische Vorreiterrolle übernahm.
Und dies wurde vom Rüdesheimer Verband überaus erfolgreich praktiziert, sei es,
o dass dieser durch Mitgliedschaften in völkischen und nationalen Verbänden eine konsequente Netzwerkarbeit zur Förderung des Ansehens betrieb,
o dass der RVdB im sogenannten Ultramontanismusstreit, d. h. bei der Bekämpfung der katholischen Studentenverbindungen an Universitäten und Technischen Hochschulen, den Ton angab, oder
o in der „Ausländerfrage“ zum Leitverband wurde.
Trotz der politischen Vorreiterrolle blieb das Verhältnis zum großen Bruderverband, der Deutschen Burschenschaft zeitlebens angespannt.
Viel zu häufig hatte die DB dem Technikerverband öffentlich die Gleichwertigkeit abgesprochen.
Die Bruchlinien zeigten sich u.a. bei der Ausrichtung einer gemeinsamen burschenschaftlichen Jahrhundertfeier, d.h. von DB, RVdB und Burschenschaft der Ostmark (BdO). Der RVdB war zu einer gemeinsamen Feier mit der DB „nur auf Grund vollständiger Gleichberechtigung“ bereit. Dies war von der Deutschen Burschenschaft jedoch nicht beabsichtigt, wie sich bereits 1912 herausstellte. Der Universitätsverband gedachte lediglich Abordnungen des RVdB und BdO zu den Festlichkeiten zuzulassen.
War einerseits der Grund der Ablehnung des Rüdesheimer Verbandes im Elitarismus der DB zu finden, so wollte sie andererseits nicht in das politische Fahrwasser der österreichischen Burschenschafter geraten, die meist mit deutschnationalen Parteien und Vereinen in der Donaumonarchie eng verbunden waren, ja diese sogar meist gegründet hatten. Germania Hannover hingegen war an einer vollständigen Gleichberechtigung gelegen. Sie forderte daher den RVdB auf, Vorbereitungen für eine eigene Veranstaltung zu treffen. Frisia Darmstadt sah hingegen durch eine parallele Veranstaltung negative Folgen heraufziehen.

Denn die vielbeschworene Einigkeit der Burschenschaft würde in der Öffentlichkeit als Chimäre enttarnt werden. Um dies zu verhindern, sprach sie sich für inoffizielle Gespräche mit der DB aus.
Hilaritas Stuttgart erklärte: „Ich bitte, uns nachzuweisen, daß wir der Deutschen Burschenschaft nachlaufen. Da kennen Sie die St[uttgarter] B[urschenschaft] schlecht. Wir wollen voll und ganz für unsere Sache eintreten, die Versicherung kann ich Ihnen geben. Wir werden in keiner Weise nachgeben. Wir wollen nur den Versuch machen, eine gemeinsame große Sache zu machen.“

Der Altherren-Ausschuss Berlin des RVdB führte aus, dass in den Kreisen der Alten Herren beider Verbände eine „Aussöhnung“ und „vollkommene Anerkennung […] nur möglich sei am Tage der Jahrhundertfeier, der alle Burschenschafter zur gemeinsamen Feier der Geburtsstunde des burschenschaftlichen Gedankens zusammenführen muß.“
Der Deutschen Burschenschaft war jedoch nur daran gelegen, die Disharmonie nicht in der Öffentlichkeit bekannt werden zu lassen.
Denn diese hatte sich endgültig auf eine getrennte Jahrhundertfeier festgelegt. Der Universitätsverband gedachte nach wie vor, nur Abordnungen des RVdB und BdO zu den Festlichkeiten zuzulassen, da „die Wohnungs- und Raumverhältnisse in Jena […] außerordentlich beschränkt“ seien.
Innerhalb des Rüdesheimer Verbands wurde dies als Vorwand erachtet, die Techniker von einer gemeinsamen Veranstaltung auszuschließen. Viel zu sehr waren die jahrelangen „Zurücksetzungen oder Minderachtungen“ präsent, als dass dieser Grund für bare Münze genommen wurde. Innerhalb des RVdB entbrannte eine Diskussion darüber, wie zu reagieren sei. Nach Ansicht von Germania Hannover war sich der RVdB „selbst genug und kann auch eine würdige Jahrhundertfeier zustande bringen.“ Auch das Mitglied der gemeinsamen Burschenschaftlichen Historischen Kommission von DB, RVdB und BdO, der Karlsruher Teutone Albert Benz, stellte resignierend fest, dass eine Intervention „der Berliner Alten Herren nur einen ideellen Erfolg, aber keinen praktischen“ zeitigen würde. Germania Darmstadt und Alemannia Stuttgart redeten einer gemeinsamen Veranstaltung beider Verbände das Wort und sprachen sich für weitere Verhandlungen mit der DB aus. Innerhalb des Rüdesheimer Verbandes rumorte es gewaltig.
Stauffia München schlug vor, mit der Burschenschaft der Ostmark eine Veranstaltung abzuhalten, zumal „in deren Kreisen Mißstimmung über das Verhalten der Deutschen Burschenschaft“ herrsche.
Wie stark sich die Burschenschafter zurückgesetzt fühlten, wurde beim Vertreter Arminia Karlsruhes deutlich. Er warf der DB vor, „dass sie keine Burschenschaft“ sei.
Da es keine eindeutige Meinung gab, setzte der Rüdesheimer Verband im Mai 1913 einen Ausschuss ein, bestehend aus der Stuttgarter Burschenschaft und der Rheinisch-Westfälischen VAB.
Dieser sollte die DB davon in Kenntnis setzen, dass der Technikerverband eine eigene Jahrhundertfeier in Rüdesheim zu begehen beabsichtige, aber eine gemeinsame Veranstaltung weiterhin vorziehe. — Nachdem der Ausschuss durch Albert Benz über nähere Details des DB-Beschlusses informiert worden war, verzichtete der Verband auf die Übersendung des Beschlusses und nahm eine abwartende Haltung ein. Die aus allen Verbänden gemischten VABen sprachen sich weiterhin für eine Gesamtveranstaltung aller burschenschaftlichen Verbände aus, da „heutzutage kein Anlass mehr vorliegt, einen grundsätzlichen Unterschied zu machen zwischen Universitäts- und Hochschul-Burschenschaftern, zumal [alle] das reine Maturitätsprinzip haben.“
Da die DB nicht von ihrem Beschluss abrückte, brach der Rüdesheimer Verband alle weiteren Verhandlungen mit der DB ab und entschied, die Jahrhundertfeier in Eisenach am 1. April 1915 – am 100. Geburtstag Bismarcks – in Eigenregie zu begehen. Die Dresdner Burschenschaft wurde wegen ihrer guten Kontakte nach Österreich aufgefordert, die dortigen Burschenschaften einzubinden. Dennoch wurden seitens einzelner Alter Herren weitere vertrauliche Gespräche geführt.
Im April 1914 fand daraufhin in Magdeburg eine gemeinsame Sitzung aller drei Verbände statt, an welcher der RVdB unverbindlich teilnahm. Es stellte sich heraus, dass gegenseitige Missverständnisse zum Abbruch der früheren Verhandlungen geführt hatten. Die Aussprache führte zu einer Klärung der Verhältnisse und zu einer gemeinsamen Entschließung: „Vorbehaltlich der Zustimmung der drei Verbände soll nach Maßgabe des Protokolls vom 26. April 1914 eine gemeinsame Jahrhundertfeier zu Eisenach abgehalten werden.“

Der RVdB legte aber Wert darauf, dass „unbedingt auf volle Gleichberechtigung“ bei allen künftigen Verhandlungen und Festlichkeiten gedrungen werden müsse. Die Deutsche Burschenschaft wies hingegen darauf hin, dass der RVdB davon absehen solle, „die prinzipielle Stellung der beiden Verbände zueinander in die Diskussion hineinzuziehen“. Gleichzeitig teilte sie aber mit, dass sie eine Revision ihrer Stellung zum Technikerverband anstrebe. Danach war vorgesehen, dass „die D.B. mit dem R.V.d.B. in dasselbe Verhältnis tritt, wie mit der Burschenschaft der Ostmark, soweit es Grußverhältnis und Anerkennung der schweren Waffen betrifft.“
Innerhalb der Deutschen Burschenschaft war man zu der Einsicht gelangt, dass „dem Rüdesheimer Verband die volle Gleichberechtigung bis jetzt versagt“ worden war und die DB sich „tatsächlich gegenüber [diesem] manche Unklarheiten [habe] zu schulden kommen“ lassen.
Der Kriegsausbruch 1914 unterbrach jäh die Vorbereitungen für den 100. Gründungstag der Burschenschaft. Die politischen Wirren, die nach der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers in Europa ab Ende Juni 1914 herrschten, hatten die Burschenschafter in den Semesterferien überwiegend vollkommen unvermittelt erfaßt. Die Korporationsverbände stellten ihre Geschäftstätigkeit ein.
Für die Studenten bedeutete der Weltkrieg eine Zäsur – der Streit unter den Korporationsformen und der Freistudentenschaft wurde von diesem Ereignis überlagert. Die Studenten suchten nun das Gemeinsame, die Treue zum Vaterland. Diese war unverrückbar mit dem Bewußtsein verbunden, das Vaterland verteidigen zu müssen, zumal Rußland als erstes die Mobilmachung ausrief.
Dies bestätigte Professor August Föppl (Germania Darmstadt), der „ein Raub- oder Rachebegehren gegen den Erbfeind in Frankreich“ unter „den gebildeten Volksschichten“ verwarf.

Es herrschte „höchstens eine Rauflust, zu der sich die Jugend leicht aufstacheln läßt“ vor.
Hinzu kam, daß die Burschenschafter mit Eintritt in die Verbindung den Schwur abgelegt hatten, auch im Kriegsfall für ihr Vaterland einzutreten. Die Satzung von Frisia Darmstadt forderte dies explizit:
„Dem deutschen Vaterlande alle Kräfte zu weihen, ihm in Krieg und Frieden mit aller Treue zu dienen, macht die Burschenschaft zur unbedingten Pflicht ihrer Mitglieder.“
Weitere Faktoren für das spontane Eintreten für die Belange des Staates fanden sich in dem studentischen Ehrbegriff und der Satisfaktion. Diese wurden als „Ausdruck individueller Wehrhaftigkeit“ wahrgenommen und auf das Vaterland übertragen. Opferbereitschaft und Disziplin waren konstitutive Elemente der schulischen Erziehung, so daß die Mensur die militärische Einsatzbereitschaft nur verstärkte. Die angehenden Akademiker sahen sich aufgrund ihrer künftigen gesellschaftlichen wie politischen Funktion berufen, die Führungsrolle auch im Krieg einzunehmen. Darüber hinaus wurde der Krieg nicht in Frage gestellt, sondern galt als fortschrittsbegründend.
Die Leistungen der Ingenieure wurden mit Beginn des Weltkrieges neu interpretiert. Die Ingenieurwissenschaften galten nun „als treuer Dienst am Vaterland“. Zur Ansehenssteigerung der Ingenieure trugen Studenten wie „Flieger-Aß“ und Pour le Mérite-Ordensträger Max Immelmann (Akademischer Turnbund Alsatia Dresden) bei.
Die Ausrufung der Generalmobilmachung in Rußland und der darauf unmittelbar folgende Kriegsausbruch führten zu patriotischen Bekenntnissen und Kundgebungen unter den Universitätsstudenten wie unter den angehenden Ingenieuren.

Die Mitglieder von Rugia Berlin trafen sich am Mobilmachungstag auf ihrer Kneipe, „als ob es selbstverständlich war“.
„Es wurden große Reden geschwungen, die auch gehalten wurden. Danach ging es auf die Straße, (…). Wir kämmten das alte Quartier Latin ab. Vor jedem Hause, in dem eine Korporation saß, forderten wir mit einem schmissigen „Burschen heraus“ zum Mitkommen auf. Wir vorneweg, der Schwanz wurde immer größer. Vor dem Reichstagsgebäude hielt Beckmann eine zündende Ansprache. (…) Und durch die Bank waren wir am nächsten Morgen Kriegsfreiwillige …“
Das gemeinsame Kriegserlebnis zeitigte unter den Verbänden und ihren Mitgliedern nicht nur ein neues Verständnis, es schweißte zusammen.
Der Marburger Geheime Justizrat Georg Heer – Alter Herr der Burschenschaft Arminia Marburg – konstatierte: „Auf den Schlachtfeldern und in den Schützengräben kämpften Angehörige der farbentragenden und der schwarzen Verbindungen, der schlagenden und der keine Waffengenugtuung gebenden Verbindungen und Studenten, die keiner Verbindung angehörten, Schulter an Schulter und lernten sich gegenseitig kennen und schätzen“.

Ganz auffällig war dies unter den technischen Burschenschaften, die sich nun als gleichberechtigter Teil ansahen. Festveranstaltungen wie die Jahrhundertfeier der Deutschen Burschenschaft 1915 wurden gemeinsam begangen. Die rein an Universitäten beheimatete Deutsche Landsmannschaft nahm 1915 erstmals eine technische Korporation auf (Alemannia Dresden) und erweiterte so ihren Radius auf die Technischen Hochschulen.
Die personell dezimierten VAB organisierten in einzelnen Städten sowie einzelne Burschenschafter an verschiedenen Frontabschnitten kleinere Veranstaltungen.

Trotz des Krieges gelang es den beiden reichsdeutschen Burschenschaftsverbänden am 12. Juni 1915 eine gemeinsame Jahrhunderfeier mit knapp 600 Teilnehmern in Berlin zu organisieren, an der auch Vertreter der politischen Prominenz teilnahmen. Die Burschenschafter gelobten in einer Depesche ihre „unverbrüchliche Treue zu Kaiser und Reich“ und drückten „die Hoffnung auf einen Sieg der deutschen Waffen“ aus. Wilhelm II. erwiderte das Huldigungstelegramm, indem er den Burschenschaftern seine dankbare Anerkennung für ihre Opferbereitschaft aussprach.

An den Hochschulen kamen die Vorlesungen vorübergehend zum Erliegen, die Korporationen schlossen, wie in Aachen und Breslau, zeitweise ihren Betrieb. Im Sommersemester 1915 sank die Zahl der Studenten an den Technischen Hochschulen von Aachen, Berlin, Breslau, Darmstadt, Karlsruhe und München auf 18% der Vorkriegsjahre. Die Bergakademie Clausthal stellte den Lehrbetrieb aus Mangel an Studenten bis Ende des Wintersemesters 1917/18 ein.
Die Burschenschafter meldeten sich – soweit sie keinen Einberufungsbefehl erhielten – in einem hohen Maß freiwillig zum Militär.

In militärischer Verwendung befanden sich bei Kriegsausbruch 50.000 Hochschüler; dies entsprach knapp 76% der 66.000 reichsangehörigen männlichen Studenten. Unter diesen 76% fanden die Studenten, die jahrzehntelang um die Reputation ihres Standes gekämpft hatten, die höchste Verwendung. Rekrutiert wurden an Ingenieur- und landwirtschaftlichen Studenten 88%, an Bergbaustudenten 90%, an angehenden Tierärzten 92%, und an Forststudenten fast 100%. Daß die Zahl der Universitätsstudenten hingegen abfiel, lag im wesentlichen daran, daß Theologen nicht pflichtrekrutiert wurden und sich freiwillig melden mußten sowie, daß ein höherer Prozentsatz an Frauen an Universitäten als an Technischen Hochschulen studierten.
Von den drei burschenschaftlichen Verbänden (Deutsche Burschenschaft, RVdB und Burschenschaft der Ostmark) wurden 14.000 Burschenschafter eingezogen. Davon fiel fast jeder Vierte [um die 3.400].
Wie bereits dargelegt, stellten der Weltkrieg und der einigende Nationalismus einen integrativen Faktor dar, der Ventile öffnete und als Katalysator Ingenieur und Universitätsabsolvent einander näherbrachte. Er schweißte sie mit den anderen Kriegsteilnehmern zu einer sogenannten „Volksgemeinschaft“ zusammen. Die gesellschaftliche Anerkennung wurde ihnen aufgrund ihrer wissenschaftlich-militärischen Leistungen zu Teil.
Dazu trugen renommierte Wissenschaftler wie Professor Alois Riedler bei, die die Gunst der Stunde erkannten und der Technik einen zentralen Platz innerhalb der Kultur zuwiesen. Der bildungsbürgerliche Kulturbegriff war um die Technik erweitert worden.
Daß die Hochschulen kriegsbedingt nicht geschlossen und ihre finanziellen Mittel nur bedingt gekürzt wurden, lag am „gesamtgesellschaftlichen Interesse“ – der Erfüllung der traditionellen wissenschaftlichen Aufgaben. Das Kulturgut Bildung diente sozusagen als Ersatz für die prekäre Unterversorgung der Bevölkerung mit Nahrungs- und Konsumgütern. Ein weiterer Aspekt war die kriegswissenschaftliche Forschung.
Laut einer Untersuchung von Bettina Grundler wurde keine systematische Forschung zu Kriegszwecken betrieben. Nur in geringem Maß erfolgten Forschungen an der Charlottenburger Hochschule und im Kaiser-Wilhelm-Institut. Daß an der TH Darmstadt „waffentechnische Vorträge“ gehalten wurden und eine einzigartige, „unter Mitwirkung der deutschen Industrie ins Leben gerufene waffentechnische Sammlung der Hochschule“ existierte, war von der Wissenschaft bis vor einigen Jahren übergangen bzw. nicht beachtet worden. Die Vorträge über Waffentechnik hielt Major a. D. Hermann von Pfister-Schwaighusen (Germania Darmstadt) – dem die Einführung des Adjektivs „völkisch“ für „national“ zugeschrieben wird.
Zusammen mit seinem Bundesbruder Otto Schwab versuchte er den Studenten „den höheren Wert auf die Betrachtung der ballistischen Grundlagen zu legen und den Ursachen von Fehlergebnissen beim Schießen wissenschaftlich nachzuforschen.“ Somit existierte neben der zum Heer gehörenden Artillerieprüfungskommission (Schießplatz Kummersdorf) eine weitere Forschungsstelle. Daß sich nur in Charlottenburg und Darmstadt Lehrstühle mit der wissenschaftlichen Erforschung der Kriegstechnik – und auch nur am Rande – befaßten, wurde von Pfister-Schwaighusen frühzeitig als Manko für den kriegerischen Eventualfall angesehen.

Erst während des Krieges nahmen weitere Lehrstühle in Aachen, Dresden und Karlsruhe Rüstungsaufgaben wahr, u.a. Fritz Haber, Mitglied im Naturwissenschaftlichen Verein Studierender Heidelberg. Otto Schwab ging seinen Forschungen gemeinsam mit seinem Mitarbeiter und Bundesbruder Kurt Wilhelm Runge direkt am Kriegsschauplatz nach. Seine Erfindungen (u. a. Brennzünderschießverfahren) wurden anfänglich genauso wenig wie diejenigen von Prof. Karl Fredenhagen (Messung mit Oszillographen) vom Militär geprüft und übernommen, obwohl sie für damalige Verhältnisse dem modernsten technischen Stand entsprachen und kriegstechnisch eminent wichtig gewesen wären.
Fredenhagens Oszillograph wurde erst 1918 eingesetzt. Das erfolgreiche Brennzünderschießverfahren wurde ab 1916 in allen Armeen der Mittelmächte eingesetzt, wobei die österreichische Armee es zu 100% umsetzte. Wie erfolgreich dieses Schießverfahren war, zeigte sich daran, daß Schwab zweimal für den Pour le mérite vorgeschlagen wurde.
Der Verbandszeitung – sowie den Kriegszeitungen der jeweiligen Burschenschaften – kamen während des Krieges eine stark integrative Stellung als Sprachrohr der Burschenschafter zu.

Über die Schützengräben hinweg bot das Organ die Möglichkeit, den Kontakt mit der nicht im Feld stehenden Außenwelt zu halten.
Es vermittelte Zusammenhalt und brachte den Kriegsalltag – wenn auch in heroisch verklärter Form – in die Wohnzimmer der Mitglieder und ihrer Familien. Darüber hinaus verschaffte die Zeitschrift einen privaten Raum, der Abwechslung in den tristen Kriegsalltag brachte.
Innerhalb der Regimenter schlossen sich Burschenschafter untereinander zusammen und zelebrierten ihre Bräuche. Kneipen wurde geschlagen, Kommerslieder gesungen und Erinnerungen ausgetauscht.
Viele Burschenschafter trugen ihr Couleurband unter dem Rock, um damit zu zeigen, daß sie den Schwur aus ihrer Studentenzeit für „Ehre, Freiheit, Vaterland“ einzutreten, einzulösen bereit waren. Dies förderte die Gemeinschaft und bezeugte ihre Herkunft und Stellung nach außen.
Wie stark die Verbindungsgemeinschaft während des Krieges wirkte, zeigt die Kriegsbeschreibung eines Mitgliedes von Teutonia Aachen:
„Als Begleiter war uns bei unserer Kolonne Geheimrat [Prof. Karl] Haussmann [Ulmia Stuttgart] von der Aachener Hochschule, (…) beigegeben; auch ein alter Burschenschafter. Zu uns [Professor Max Schmid-Burgk, Teutonia Aachen; Wilhelm Mühlhäuser [Teutonia Aachen] gesellte sich [Paul] Holländer (Alania Aachen) (…). So standen wir vier Burschenschafter im Schützengraben, wenige hundert Meter vom Feind (…).“
Je länger der Krieg dauerte, desto kritischer äußerten sich die an der Front kämpfenden Burschenschafter. Bereits die Marneschlacht im September 1914 und der Tod vieler junger Soldaten ließen ahnen, daß der Krieg lang und entbehrungsreich werden würde. Dies zeigte sich auch innerhalb des RVdB. Die „Neutralitätsverletzung Belgiens [und] die Zerstörung belg[ischer] Städte und Dörfer“, die „böses Blut“ in den USA erzeugten, wurden bereits 1914 kritisiert. Dennoch akzeptierten es die Burschenschafter noch als „gerechtfertigtes“ militärisches Mittel.
Ab 1916 setzte langsam ein Umdenken bei vielen Burschenschaftern ein. Ein Mitglied von Stauffia München sprach sich 1916 für gemäßigte Kriegsziele aus: „Gar eine Demütigung Englands werden wir in diesem Kriege leider, leider nicht erreichen. Wir müssen trachten, einen anständigen Frieden zu erkämpfen, denn nicht unsere, sondern die Kräfte des Gegners werden immer größer.“ Ein Bundesbruder von ihm gab 1917 offen zu, daß „uns die Franzosen bei Verdun gehauen haben.“

Immer deutlicher wurde in den Kriegsbriefen die „Sehnsucht nach jenem Tag, wo der Soldat zurückkehrt ins Leben, in die Menschlichkeit“ postuliert.
Letztendlich mußte der Stauffia-Chronist, Max Steigner, feststellen, daß „der heldische Endkampf der deutschen Heere in den Kriegsbriefen gar keinen Niederschlag“ fand.“
Die enthusiastische Aufbruchstimmung vom Kriegsbeginn schlug aufgrund des Stellungskrieges in einen Durchhaltepathos um.
Bereits 1915 hatte sich die Wahrnehmung des Krieges verändert. In den Feldpostbriefen wurde der Durchhaltewillen bekräftigt.
„Den Frieden wollen [die Briten] nicht haben, dies Krämergesindel, gut, sie werden den Krieg noch anders zu spüren bekommen, das fühlt jeder Mann hier draußen. Schade und bedauerlich um die vielen Opfer, die noch notwendig sind, sie müssen gebracht werden, um unser teures Vaterland vor den Hyänen der Kultur zu retten.“
In den Kriegsbriefen der Burschenschafter wich die Siegeszuversicht einer sich immer weiter ausbreitenden fatalistischen Grundstimmung. Der Krieg wurde monumentalisiert und das Sterben für Deutschland heroisiert. Seit 1914 war ein Fünftel der Gesamtstudentenschaft gefallen – mehr als in allen anderen Bevölkerungsschichten.

Mit dem Frieden von Brest-Litowsk am 3. März 1918 trat im Osten eine Befriedung ein, die vom Militär genutzt wurde, um im Westen eine Entscheidung herbeizuführen.
Die Anfangserfolge der Frühjahrsoffensive führten in Deutschland zu großen Hoffnungen und lösten Begeisterungsstürme aus. Eine Grundstimmung, die von Illusionen und Siegglauben geprägt war, machte sich im Volk und bei den Soldaten bemerkbar.
Ab Mitte Juli 1918 brachen die Entlastungsangriffe durch die einsetzende Gegenoffensive der Alliierten zusammen.

Diesen gelang es, durch den Masseneinsatz von Tanks und die damit einhergehende fortschreitende Demoralisierung der Truppe, tief in die deutschen Stellungen einzudringen, so daß die Oberste Heeresleitung die Front im September in die „Siegfriedstellung“ zurückverlegen mußte.
Die Niederlage war unvermeidbar und die Oberkommandierenden Hindenburg und Ludendorff militärisch wie politisch gescheitert. Für wie aussichtslos die Burschenschafter die Situation hielten, belegt der Feldpostbrief eines Mitgliedes von Rheno-Guestfalia Darmstadt vom 19. Oktober 1918:
„Mit durchschossenen Hosen und eben solchen Mantel, dreckig von oben bis unten, kamen wir gestern aus dem Schlamassel zwischen Cambrai und Quentin heraus. Bleiben drei Tage hinter der Front in Reserve, kommen dann wieder vor. Wäre alles schön und gut, wenn man wüßte, daß die Heimat hinter einem steht. Das tut sie aber nicht im Geringsten. Es ist eine Schande. Man schämt sich der Regierung und des Reichstages. Man weiß hier nicht mehr, für was man sich eigentlich die Knochen kaputt schießen läßt.“
Die Niederlage des Deutschen Reiches und die sich daraus ergebenden Folgen ließen das Trennende unter den Burschenschaften zurücktreten.
Gerade die Jahrhundertfeier hatte erstmals die akademischen, technischen und österreichischen Burschenschafter offiziell zusammengeführt und muss als Ausgangspunkt für die Fusion der drei Verbände im Jahr 1919 angesehen werden. Zudem ließ der Krieg die früheren Gegensätze zwischen Akademiker und Techniker, wenn nicht verschwinden, so doch verschwimmen.
Am 22. November 1918 trafen sich in Berlin 400 Burschenschafter aus beiden Verbänden und forderten eine Politisierung der Burschenschaft.
Sie gestanden sich ein, daß an der Niederlage Deutschlands und den daraus resultierenden Begleiterscheinungen politischer, sozialer und wirtschaftlicher Art, sowohl die politische Bildungslosigkeit des Bürgertums, als „leider auch das akademische Bürgertum“ und somit sie selbst die Schuld trügen. Insbesondere dem Primat der gesellschaftlichen Einstellung und der Angleichung an die Corps wurde gehuldigt, da nach dem Krieg von 1870/71 das Ziel der Burschenschaft, die Einheit der Nation, erreicht schien.
Am 4. Januar 1919 war es soweit. Beide Verbände fanden sich in Berlin zu getrennten Sitzungen ein.
Da die Erringung der Gleichberechtigung das oberste Ziel des Technikerverbands war, sprach er sich ohne Gegenstimme für die Zusammenlegung aus. Deutsche Burschenschaft und RVdB fusionierten zur Deutschen Burschenschaft.
Auf dem 1. Burschentag nach dem Krieg Anfang August 1919 wurde in Eisenach die Vereinigung mit der Burschenschaft der Ostmark vollzogen. Die Deutsche Burschenschaft stieg zum mitgliederstärksten deutschen Akademikerverband auf.

Hoch verehrte Damen, sehr geehrte Herren Burschenschafter!
Eines neuen Krieges bedarf eine künftige Einigung aller Burschenschaften in Deutschland, Österreich und Chile hoffentlich nicht mehr. Dennoch sollten wir alle Hoffnung in die anstehende 200. Jahrfeier der Burschenschaft setzten und die Differenzen baldigst friedlich beilegen. Denn das hat die Deutsche Burschenschaft als historisch geschichtsmächtigster Verband verdient!
Ich wünsche ihr, aber heute ganz besonders Stauffia,
ein vivat, crescat, floreat! Vielen Dank!

Festredner: Dr. Frank Grobe (Aachener Burschenschaft Teutonia)

Quellen:
Grobe, Frank: Zirkel und Zahnrad. Ingenieure im bürgerlichen Emanzipationskampf um 1900 – Die Geschichte der technischen Burschenschaft, in: Oldenhage, Klaus (Hrsg.), Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, Bd. 17, Heidelberg 2009.
Grobe, Frank: „Burschen heraus!“ – Das Kriegserlebnis 1914-1918 und die Emanzipation der Ingenieure, in: Müller, Harald/Eßer, Florian (Hrsg.), Wissenskulturen. Bedingungen wissenschaftlicher Innovation (= Studien des Aachener Kompetenzzentrums für Wissenschaftsgeschichte; Bd. 12), Kassel 2012, S. 149-169.

 Kommersrede_120.Stiftungsfest_MB!_Stauffia.pdf